Thermofenster-Standpunkt des EuGH wird im Dieselskandal vom OLG München bestätigt
Ein neuer Beweisbeschluss benennt das Thermofenster in einem Mercedes-Benz E 220 CDI T-Modell mit einem Motor des Typs OM651 und der Abgasnorm Euro 5 als unzulässige Abschaltvorrichtung.
Das Oberlandesgericht München könnte durch einen Beweisbeschluss vom 9. August 2022 neuen Schwung in den Daimler-Dieselabgasskandal bringen (Az.: 19 U 4395/20 zu 13 O 419/20 LG München II). Es ist Beweis zu erheben über die Behauptung der Klagepartei, im klägerischen Fahrzeug Mercedes-Benz E 220 CDI T-Modell mit einem Motor des Typs OM651 und der Abgasnorm Euro 5 sei eine unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters verbaut, durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts. In jedem Fall werde um Mitteilung ersucht, ob die Erkenntnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes auf eigenen technischen Untersuchungen der Behörde beruhten. Bejahendenfalls werde weiter um Mitteilung gebeten, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen, insbesondere auch behördlich angeordnete Rückrufe, deshalb ergriffen worden seien.
„Das folgt der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs EuGH, dass Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz hätten, wenn in ihren Fahrzeugen ein sogenanntes Thermofenster verbaut sei. Ein Thermofenster stellt aus EuGH-Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das Thermofenster kommt bei der Abgasrückführung zum Einsatz, wonach die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren wird“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.
Diese Ansicht verdeutlichte der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos in seinen Schlussanträgen in dem Dieselverfahren (Az.: C 100/21). Dabei bezog Athanasios Rantos sich sowohl auf eine die Volkswagen AG betreffende Grundsatzentscheidung des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2020 (Az. C-693/18) als auch auf seine früheren Ausführungen zum Thermofenster in zwei noch nicht entschiedenen Verfahren. Danach ist das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen unmissverständlich geregelt, und ein Thermofenster ist eine unzulässige Abschalteinrichtung. Den von den Herstellern immer wieder vorgeschobenen Rechtfertigungen illegaler Abschalteinrichtungen mit Motor- und Bauteilschutz erteilte der Generalanwalt eine Absage.
„Damit positioniert sich der Europäische Gerichtshof gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofs, der die Sittenwidrigkeit des Thermofensters zuletzt verneint hatte. Das kann ein fundamentaler Turning Point im Dieselabgasskandal sein, denn in der Regel folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts. In der Folge müsste dann auch der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zum Thermofenster ändern. Die Ausführungen des Generalanwalt sind eine deutlich hörbare Ohrfeige für unsere höchsten Zivilrichter. Ganz eindeutig haben diese Regelungen Schutzcharakter für Autokäufer, und zwar sowohl für Neuwagenkäufer wie Gebrauchtwagenkäufer. Dass das Oberlandesgericht München in seinem Beweisbeschluss die Ansicht aufgreift, ist ein erstes Zeichen in die richtige Richtung. Der Schlussantrag des Generalstaatsanwalts Rantos hat offensichtlich in München Wirkung gezeigt“, sagt Dieselexperte Dr. Gerrit W. Hartung.