Sensation im Abgasskandal: BGH verschiebt Verhandlungen wegen ausstehendem EuGH-Urteil
In einem Dieselverfahren gegen die Volkswagen AG (Dieselgate 2.0 wegen EA288) hat der Bundesgerichtshof (BGH) den für Donnerstag, 30. Juni, geplanten Verhandlungstermin über Schadenersatzforderungen aufgehoben. Der BGH wartet auf eine bahnbrechende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
Die Auffassung des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofs EuGH vom 2. Juni 2022 (Az.: C 100/21) im Dieselabgasskandal würde große Auswirkungen auf die weitere Rechtsprechung haben. In seinen Schlussanträgen in dem Dieselverfahren verdeutlichte der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos, dass Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz hätten, wenn in ihren Fahrzeugen ein sogenanntes Thermofenster verbaut sei. Ein Thermofenster stellt aus EuGH-Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das Thermofenster kommt bei der Abgasrückführung zum Einsatz, wonach die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren wird.
Vor diesem Hintergrund des von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich abweichenden Votums des Generalanwalts Athanasios Rantos hat der VII. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) die für Donnerstag, 30. Juni, geplante Verhandlung über Schadenersatzforderungen wegen eines VW mit jüngerem EA288-Motor (Dieselgate 2.0) abgesagt und will erst einmal abwarten. Das teilte BGH-Sprecher Kai Hamdorf dem Portal test.de mit. Wie die übrigen BGH-Senate mit Abgasskandalfällen weiter verfahren, könne er derzeit noch nicht sagen, erklärte er laut Bericht weiter.
Der Kläger im BGH-Verfahren erwarb im Oktober 2017 einen von der Volkswagen AG hergestellten Pkw VW Golf VII 2.0 TDI Highline als Gebrauchtwagen zum Preis von 21.750 Euro. Der Wagen ist mit einem Vierzylinder-Dieselmotor EA288 und der Abgasnorm Euro 6 ausgestattet. Dieser verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator, welcher im Fahrbetrieb regeneriert, also geleert wird, wenn der Speicherkatalysator voll ist oder nach einer Fahrstrecke von etwa fünf Kilometern. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs erkennt anhand der Vorkonditionierung die bevorstehende Prüfung im Rahmen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und veranlasst eine Regeneration des Speicherkatalysators, sodass dieser zu Beginn des Testzyklus geleert ist, sodass weniger emissionsintensive Regenerationen im Prüfstandsbetrieb durchgeführt werden müssen als im gleichartigen Straßenbetrieb.
„Mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben enthält das Fahrzeug auch insofern eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil die Motorsteuerung des Emissionskontrollsystems nur für den Prüfzyklus einen verringerten Emissionsausstoß vorsehe“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.
Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.
Laut Dieselexperten Dr. Gerrit W. Hartung ist zu erwarten, dass der EuGH urteilt, wie Generalanwalt Athanasios Rantos empfohlen hat. „Das würde den Dieselabgasskandal im Sinne der Verbraucher extrem positiv beeinflussen. In der Folge müsste der Bundesgerichtshof die Autohersteller wegen Autos mit illegaler Motorsteuerung anders als bisher auch dann zu Schadenersatz verurteilen, wenn ihnen Vorsatz und Sittenwidrigkeit nicht nachzuweisen ist. Die Ausführungen des Generalanwalts sind eine deutlich hörbare Ohrfeige für unsere höchsten Zivilrichter in Karlsruhe. Ganz eindeutig haben diese Regelungen Schutzcharakter für Autokäufer, und zwar sowohl für Neuwagenkäufer wie auch Gebrauchtwagenkäufer!“