Restschadensanspruch: erneutes verbraucherfreundliches Urteil
Halter älterer Fahrzeuge sind im Dieselabgasskandal der Volkswagen AG alles andere als chancenlos. Der Restschadensanspruch nach § 852 BGB kann regelmäßig durchgesetzt werden.
Das Oberlandesgericht Dresden (Urteil vom 7. Januar 2022, Az.: 9a U 2291/20) hat ein Urteil des Landgerichts Chemnitz (23. Oktober 2020, Az.: 4 O 635/20) im Dieselabgasskandal der Volkswagen AG abgeändert und die Volkswagen AG dazu verurteilt, an die Klägerin 3.751,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 12.032,38 Euro für die Zeit vom 3. Juli 2020 bis zum 27. September 2020 und aus dem zugesprochenen Beitrag seit dem 28. September 2020 zu zahlen. Die Klägerin hatte den VW Caddy Maxi 2.0 TDI mit dem Vierzylinderdiesel EA189 und der Abgasnorm Euro 5 im Jahr 2012 als Neuwagen für 26.500 Euro erworben und am 28. September 2020 mit einem Kilometerstand von 136.487 Kilometern für 8.281 Euro verkauft.
Die Begründung für die Schadenersatzpflicht folgt den bekannten Argumenten im Dieselabgasskandal der Volkswagen AG der ersten Generation. Die Motorsteuerungssoftware des EA189 erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befindet. Die ursprünglich installierte Software kannte zwei Betriebsmodi, nach denen die Abgasrückführungsrate gesteuert wurde. Der Modus 1 war nur aktiv, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus NEFZ durchfuhr. In anderen Fahrsituationen, also bei der Nutzung im Straßenverkehr, war der Modus 0 aktiv. Dieser wies eine gegenüber dem Modus 1 niedrigere Abgasrückführungsrate auf. Die Abgasrückführung bewirkt durch Absenkung der Verbrennungstemperatur einen geringeren Ausstoß an Stickoxiden. Wird eine niedrigere Menge an Abgas zurückgeführt, erhöht sich die Verbrennungstemperatur, und die Abgase enthalten eine höhere Menge an Stickoxiden.
„Zwar wurde diese Umschaltlogik durch das am 2. August 2016 aufgespielt Software-Update beseitigt. Trotz allem hat sich die Volkswagen AG der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung schuldig gemacht, weil die Ausstattung des Motors mit einer illegalen Abschalteinrichtung eine Betriebseinschränkung oder -untersagung hätte nach sich ziehen können. Das kommt der arglistigen Täuschung des Käufers im Sinne von § 826 BGB gleich“, erklärt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung. Er gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde und hat das verbraucherfreundliche Urteil vor dem Oberlandesgericht Dresden erstritten.
Zwar ist der Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB tatsächlich bereits verjährt. Andererseits bleibe die Volkswagen AG nach § 852 BGB zu Schadenersatz als Anspruch auf Restschadenersatz verpflichtet. „Nach dieser Bestimmung hat der Ersatzpflichtige selbst nach Verjährung des Schadenersatzanspruches nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben, was er durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Anspruch aus § 852 BGB weiterhin ein deliktischer Schadensersatzanspruch ist. Der von der Volkswagen AG erschlichene finanzielle Vorteil muss an die Geschädigten zurückgegeben werden, und die Verjährung tritt frühestens nach zehn Jahren ab Kauf ein“, betont Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
Das bedeutet: Nachdem der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25. Mai 2020 bereits deliktische Ansprüche zugesprochen hat, stehen die Schadensersatzansprüche den geschädigten Dieselkäufern aus § 852 BGB auch heute noch in jedem Fall zu. Damit können eben auch dann Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden, wenn der Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB wegen eingetretener Verjährung nicht mehr besteht. Verbraucherschutzanwalt Dr. Gerrit W. Hartung:
„Diese Möglichkeit hat das Oberlandesgericht Dresden deutlich gemacht, auch bei einem bereits verkauften Fahrzeug. Das hilft Haltern älterer Dieselfahrzeuge erheblich!“