Mercedes Abgasskandal: Zweites Urteil in Deutschland von einem Oberlandesgericht gegen die Daimler AG – auch Mercedes-Benz-Reisemobil 250 D „Marco Polo“ von Manipulationen betroffen
Das Oberlandesgericht Köln hat ein vorinstanzliches Urteil des Landgerichts Bonn im Dieselskandal aufgehoben und zu Gunsten des geschädigten Verbrauchers geurteilt, der 2017 ein Mercedes-Benz-Reisemobil 250 D „Marco Polo“ mit einem Motor des Typs OM651 der Schadstoffklasse Euro 6 erworben hatte. Das Fahrzeug ist mit illegalen Abschalteinrichtungen ausgestattet, sodass die Daimler AG zu Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verurteilt worden ist.
Vor dem Oberlandesgericht Köln hat die Daimler AG eine weitere ganz herbe Niederlage im Dieselskandal erlitten. Das Oberlandesgericht Köln hat als zweites Oberlandesgericht in Deutschland mit Urteil vom 5. November 2020 (Az.: 7 U 35/20) das vorinstanzliche Urteil des Landgerichts Bonn (Urteil vom 24.01.2020, Az.: 15 O 172/19) aufgehoben und verbraucherfreundlich entschieden, dass dem Halter eines Mercedes-Benz-Reisemobils 250 D „Marco Polo“ Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zusteht. Die Daimler AG wurde verurteilt, an den Kläger 53.813,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2019 zu bezahlen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 Euro freizustellen und 85 Prozent der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das streitgegenständliche Mercedes-Benz-Reisemobil 250 D „Marco Polo“ mit einem Motor des Typs OM651 der Schadstoffklasse Euro 6 ausgerüstet. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht betrug der Kilometerstand 30.548 Kilometer. Der geschädigte Verbraucher hatte den Wagen neu erworben, der mittlerweile einem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) unterliegt und für den ein Software-Update existiert. Die Kontrolle der Stickoxidemissionen erfolgt in dem Fahrzeug über die sogenannte Abgasrückführung. Bei der Abgasrückführung wird ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Der Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen zurückgefahren, wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert wird. Das betrifft das Dauerthema des sogenannten Thermofensters.
„Der Kläger hat gegenüber dem Oberlandesgericht Köln erfolgreich die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn durch Einbau der Motorsteuerungssoftware getäuscht. Die Motorsteuerungssoftware sei gesetzeswidrig, denn in der Verbindung von mehreren Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liege ein Verstoß gegen geltende Regeln vor“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.
„Es ist sehr positiv, dass das Oberlandesgericht Köln dem Argument des geschädigten Verbrauchers folgte und entgegen der Auffassung des Landgerichts das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung anerkannt hat. Erfreulich ist auch, dass das Verhalten des Landgerichts kritisiert wird, dass es dem fundierten Vortrag des Klägers kein rechtliches Gehör geschenkt hat. Denn das Gericht kann den Prozessstoff nicht von sich aus begrenzen oder reduzieren, sondern muss den Sachvortrag der Parteien in Gänze berücksichtigen, soweit er nicht zurückgenommen wurde“, berichtet Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung über die Argumente des Oberlandesgerichts Köln.
Viele Mercedes-Benz-Diesel sind mit illegalen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Besonders betroffen sind neben dem OM651 die Motoren des Typs OM642, OM622, OM626, OM654 und OM656.
Das Oberlandesgericht Köln steht damit in deutlicher Wechselwirkung zu der vielbeachteten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19), die der Mönchengladbacher Rechtsanwalt mit einem kooperierenden BGH-Anwalt erstritten hat. Danach können Schadensersatzansprüche im Abgasskandal gegen die Daimler AG von einem Gericht nicht einfach als Behauptungen „ins Blaue hinein“ abgewiesen werden. „Das gilt auch dann, wenn kein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegt. Vielmehr ist das Gericht laut dem BGH gehalten, ein angebotenes Sachverständigengutachten auch einzuholen, da ansonsten der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt wird“, erklärt der Verbraucherschutzanwalt. Dass sich die Daimler AG im Diesel-Abgasskandal nicht länger hinter Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verstecken könne und zur Funktionsweise von Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung äußern müsse, habe übrigens beispielsweise auch das Oberlandesgericht Köln in einer entsprechenden Verfügung erlassen (18.05.2020; Az.: 24 U 419/19).