Mercedes-Abgasskandal: Beweisbeschluss soll Klarheit beim Vierzylinder-Dieselmotor OM651 bringen
Das Landgericht Heidelberg hat ausdrücklich die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet, um wichtige Fragen zur Verwendung von illegalen Abschalteinrichtungen in Mercedes-Benz-Fahrzeug mit weitverbreiteten Skandalmotor OM651 mit der Abgasnorm Euro 5 zu klären.
Der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung hat beim Landgericht Heidelberg in einem Dieselverfahren gegen die Daimler AG am 6. April 2021 einen weiteren interessanten Beweisbeschluss (Az.: 8 O 203/20) im Dieselskandal erwirkt. Streitgegenständlich ist ein Mercedes-Benz des Typs E 200 CDI, den der geschädigte Verbraucher am 6. Juli 2015 gebraucht zu einem Kaufpreis von 22.950 Euro erworben hat. Für Fahrzeugzubehör wandte die Klagepartei weitere 958,03 Euro auf. Das Fahrzeug hatte bei Übergabe am 10. Juli 2015 eine Laufleistung von 61.120 Kilometern.
In dem Fahrzeug ist ein Vierzylinder-Dieselmotor des Typs OM651 mit der Abgasnorm Euro 5 verbaut, dessen Hersteller und Entwickler die Daimler AG ist. Das Fahrzeug ist von einem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen. Die Richterin am Landgericht hat die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet, um zu mehreren Punkten der Klage des geschädigten Verbrauchers klärende Informationen zu erhalten.
Unter anderem solle festgestellt werden, ob die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit technischen Einrichtungen in Form von mehreren Abschalteinrichtungen versehen worden sei, die erkennen würden, ob das Fahrzeug sich auf einem Prüfstand befinde, indem der dort maßgebliche Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) erkannt werde und die bei Erkennen dieser Situation den Ausstoß von Stickoxiden durch Optimierung der Abgasaufbereitung reduzieren würden. Das würde bedeuten: Im normalen Fahrbetrieb würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt mit der Folge eines höheren NOx-Ausstoßes.
Die Folge: Die Schadstoffgrenzwerte der Euro 5 Norm würden nur in dem abgasreduzierten Modus, der auf dem Prüfstand aktiviert sei, eingehalten, nicht in dem Modus, der im normalen Fahrbetrieb aktiviert sei. Ohne die genannten Abschalteinrichtungen würde das streitgegenständliche Fahrzeug auch die Werte für die Abgasnorm Euro 5 auch auf dem Prüfstand nicht einhalten.
Das Gericht schreibt weiterhin: „Sollte der Sachverständige eine oder mehrere der vorgenannten Behauptungen der Klagepartei als zutreffend erachten, möge er ergänzend darstellen, in welchem Ausmaß die Abgasrückführung reduziert wird und welche Auswirkungen sich auf den Ausstoß von Stickoxiden feststellen lassen.“ Ferner solle der Sachverständige für den Fall, dass er eine oder mehrere der Behauptungen als zutreffend erachtet, erläutern, ob der Umfang einer gegebenenfalls festzustellenden Reduzierung der Abgasrückführung für den Motor- und Bauteilschutz technisch erforderlich und aus technischer Sicht in den unterschiedlichen Temperaturbereichen plausibel ist. Ebenso solle sich der Sachverständige dabei auch mit dem Einwand der Beklagten, wonach die im streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandenen Emissionskontrollsysteme im Fahrbetrieb auf der Straße unter denselben Bedingungen genauso arbeiten würden wie auf dem Prüfstand, auseinandersetzen.
„Wir freuen uns, dass die Richterin diesen fundamentalen Beweisbeschluss angeordnet hat. Das zeigt, dass die Gerichte an einer professionellen fachlichen Klärung des Abgasskandals größtes Interesse haben und den Behauptungen geschädigter Verbraucher detailliert nachgehen. Solche Beweisbeschlüsse und daran anschließende Sachverständigengutachten liefern jedes Mal neue Ansatzpunkte für verbraucherfreundliche Entscheidungen in Dieselverfahren und zeigen, dass sich die Gerichte nicht damit zufriedengeben, dass Automobilherstellern ihre Haftung schlichtweg verneinen und die Behauptungen geschädigter Verbraucher ohne Gegenbeweise als unzutreffend abzutun versuchen“, betont Experte Dr. Gerrit W. Hartung, Dieselanwalt der ersten Stunde.
„Mit einer Bejahung dieser Fragen und einer technischen Begründung wird es für die Daimler AG kaum möglich sein, sich aus der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen herauszureden. Für geschädigte Verbraucher im Abgasskandal ist das eine wesentliche Weiterentwicklung zu ihren Gunsten auf dem Weg zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB“, sagt Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.