Justizministerium Baden-Württemberg sorgt sich wegen des Abgassskandals vor Massenklagen
Könnte die Justiz durch Massenverfahren im Dieselabgasskandal überlastet werden? Kürzlich sagte ein Sprecher des Justizministeriums Baden-Württemberg, dass Massenverfahren insbesondere bei den Landgerichten als Eingangsinstanz und den Oberlandesgerichten als Rechtsmittelinstanz zu erheblichen Belastungen führten.
Die Musterfeststellungsklage ist eine zivilrechtliche Verbandsklage, die mit dem Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage mit Wirkung zum 1. November 2018 in das deutsche Recht eingeführt wurde. Bei der Musterfeststellungsklage klagen nicht einzelne Verbraucher, sondern ein Verbraucherverband. „Diese Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger mindestens zehn einzelne Verbraucher benennen kann, die entsprechende Ansprüche gegen das beklagte Unternehmen haben“, heißt es beim Bundesverband der deutschen Verbraucherzentrale (vzbv).
Der vzbv will derzeit eine sogenannte Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen auf den Weg bringen. Das Gericht soll die Voraussetzungen für Schadensersatz bei Mercedes-Benz-GLC- und GLK-Fahrzeugen mit dem Motortyp OM651 prüfen. Laut Verbraucherzentrale geht es hier um rund 50.000 Autos, die einen offiziellen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) erhalten haben.
Auch gegen die Volkswagen AG wurde eine Musterfeststellungsklage angestrengt. „Die Musterfeststellungsklage gegen VW ermöglichte den größten Massenvergleich in der Geschichte der Bundesrepublik. Dank des zwischen VW und dem vzbv geschlossenen Vergleichs erhielten mehr als 240.000 Verbraucher eine Entschädigung. Volkswagen musste dafür einen Gesamtbetrag von etwa 750 Millionen Euro ausschütten“, heißt es beim vzbv.
„Das klingt zunächst nach einer interessanten Lösung für betroffene Verbraucher im Dieselabgasskandal. Aber die Sammelklage bedeutet nicht, dass geschädigte Verbraucher im Dieselabgasskandal individuell entschädigt werden. Vielmehr steht zu erwarten, dass ihnen ein allgemein verhandelter Schadensersatz zugesprochen wird, der ihrem individuellen Sachverhalt nicht zwingend gerecht wird“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
„Das Problem: Für die Justiz werden Massenklagen zunehmend zum Problem. Das baden-württembergische Justizministerium blickt mit Sorge auf die Zunahme der Klagen im Zuge des Dieselskandals oder in Kapitalanlagefällen. Ein Sprecher sagte in Stuttgart, solche Massenverfahren führten insbesondere bei den Landgerichten als Eingangsinstanz und den Oberlandesgerichten als Rechtsmittelinstanz zu erheblichen Belastungen“, berichtet das Fachportal „Legal Tribune Online“.
„Wir raten ohnehin seit Jahren zur Individualklage. Die deutschen Gerichte urteilen immer wieder sehr verbraucherfreundlich und sprechen den Geschädigten hohe Kompensationen bei Dieselverfahren zu. Die Zahl der erfolgreichen Verfahren gegen die Daimler AG und andere Hersteller steigt mehr oder weniger täglich. Geschädigte Verbraucher erhalten den Kaufpreis zuzüglich Verzugszinsen und müssen sich nur eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Dies setzen wir regelmäßig durch. Es ist zu bezweifeln, dass diese Summen auch bei Sammelklagen möglich sind“, betont Verbraucherschutzanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
Damit befindet er sich auf ganzer Linie mit der Auffassung der Justiz, wie „Legal Tribune Online“ berichtet: „So habe die Anwaltschaft trotz des vor dem Oberlandesgericht Braunschweig geführten Musterfeststellungsverfahrens gegen VW den rechtsschutzversicherten Klägerinnen und Klägern weiterhin eine Individualklage nahegelegt. „Solange die Individualklage attraktiver als der Anschluss an eine Sammelklage ist, kann die Justiz Massenklagen nicht kanalisiert und strukturiert abarbeiten“, prognostiziert der Landgerichtspräsident.“