EuGH-Urteil: Thermofenster sind definitiv unzulässig!
Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems temperaturabhängig verringert, stellt laut Europäischer Gerichtshof eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Dann ist die Auflösung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Im Dieselskandal bahnt sich eine weitere interessante, für die Geschädigten zielführende Entwicklung an. Denn vor dem Europäischen Gerichtshof ging es einmal mehr um die Frage, ob ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und und C-145/20 kommen zu einem eindeutigen Schluss: Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, heißt es in einer Mitteilung des EuGH.
Der Hintergrund: Käufer von Fahrzeugen der Marke Volkswagen mit einer Software, durch die die Abgasrückführung des Fahrzeugs nach Maßgabe insbesondere der ermittelten Temperatur verringert wird, klagen vor österreichischen Gerichten auf Aufhebung ihrer zwischen 2011 und 2013 geschlossenen Kaufverträge. Der österreichische Oberste Gerichtshof, das Landesgericht Eisenstadt und das Landesgericht Klagenfurt haben dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Zulässigkeit eines solchen Thermofensters und zu etwaigen Ansprüchen der Kläger vorgelegt, soweit es sich nach der europäischen Regelung, die zu dem für die Sachverhalte maßgeblichen Zeitpunkt galt, um Verbraucher handelt, betont der EuGH.
„Mit seinen Urteilen hat der EuGH klar entschieden, dass eine Software, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung darstellt“, sagt Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
Der Gerichtshof weist in seiner Mitteilung darauf hin, dass Umgebungstemperaturen von weniger als 15 Grad Celsius im Unionsgebiet üblich sind. Zudem seien die auf Unionsebene festgelegten Emissionsgrenzwerte auch dann einzuhalten, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 Grad Celsius lägen. Daher schränke eine Software wie die in Rede stehende die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei normalen Nutzungsbedingungen ein. Da eine solche Vertragswidrigkeit des Fahrzeugs nicht geringfügig sei, sei die Auflösung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
„Damit positioniert sich der Europäische Gerichtshof gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofs, der die Sittenwidrigkeit des Thermofensters zuletzt verneint hatte. Das kann ein fundamentaler Turning Point im Dieselabgasskandal sein, und in der Folge müsste dann auch der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zum Thermofenster ändern. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, könnten Geschädigte im Dieselskandal die Autohersteller wesentlich leichter für den verursachten wirtschaftlichen Schaden haftbar machen und Schadenersatz erhalten. Der EuGH setzt damit konsequent wichtige Verbraucherrechte durch, weil die Gerichte jetzt konsequent prüfen müssen, ob das Thermofenster technisch notwendig ist oder nicht. In der Regel müssten die Gerichte also zu dem Schluss kommen, dass es sich beim Thermofenster um eine illegale Abschalteinrichtung handelt“, betont Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.