BGH-Entscheidung zum Abgasskandal am 26. Juni 2023
Der Bundesgerichtshof hat drei Fälle rund um Abschaltvorrichtungen in Dieselfahrzeugen verhandelt. Dabei ging es um die Frage, ob es sich beim sogenannten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
Am Montag, 8. Mai, hat der Bundesgerichtshof (BGH) drei exemplarische Dieselklagen gegen Volkswagen, Mercedes-Benz und Audi verhandelt. Diese sollen Klarheit für Abertausende von Fällen schaffen, laut Handelsblatt soll die für den 26. Juni terminierte Entscheidung wegweisend für rund 2100 Verfahren am BGH selbst und schätzungsweise fast 100.000 anhängige Klagen an unteren Instanzen sein. Die Entscheidung entfaltet insofern besondere Relevanz, als dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Hersteller mit Urteil vom 21. März 2023 unter Druck gesetzt hat. Der EuGH hat die Klagemöglichkeiten im Abgasskandal enorm erweitert, sodass bereits der Nachweis der Fahrlässigkeit bei der Abgasmanipulation genügen kann, um Ansprüche auf Schadensersatz durchzusetzen.
„Im Fokus steht die Frage nach Schadenersatzpflichten bei Fahrzeugen mit Thermofenster. Dabei handelt es sich bekanntlich um eine spezielle Software, die die Abgasreinigung in Autos steuert. Bei bestimmten Temperaturen wird die Abgasreinigung heruntergefahren oder ganz ausgeschaltet“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
In früherer Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof in der Verwendung des Thermofensters keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung erkannt und hat auch jetzt, trotz der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung des EuGH, die Rückabwicklung des Kaufvertrages eine Abfuhr erteilt.
„Vielmehr ließ der Senat durchblicken, dass Halter von Fahrzeugen mit unzulässigen Thermofenster Schadensersatzanspruch haben, aber in abgewandelter Form. Dieser könnte auf den etwaigen Minderwert des Dieselautos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellen. Die Vorsitzende Richterin des VIa-Zivilsenats des BGH Dr. Eva Menges bezeichnet dies als Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz oder auch mittleren Schadenersatz“, erklärt Verbraucherschutzanwalt Dr. Gerrit W. Hartung, der das Verfahren intensiv beobachtet hat.
Das habe nichts mit dem bekannten kleinen Schadenersatz zu tun, der die Differenz zwischen einem höheren Kaufpreis und einem gegebenenfalls niedrigeren Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags meint. Der BGH sieht im mittleren Schadenersatz wohl die Wertdifferenz zwischen einem funktionsfähigen Auto ohne unzulässige Abschalteinrichtung und dem tatsächlich erhaltenen Auto mit der Abschalteinrichtung. „Wie dieser Wert berechnet werden soll, bleibt noch diffus und wird die Instanzgerichte vor große Herausforderungen stellen.“
Allerdings bejaht der BGH die Möglichkeit des Schadensersatzes bei fahrlässiger Abschalteinrichtung. Es folgt damit den Vorgaben des EuGH, den Drittschutz von Zulassungsvorschriften anzuerkennen, die den Einzelinteressen von Käufern dienen. Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, sondern (auch) dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises dient.
„Der BGH stellt Dieselklagen damit auf ein breiteres Fundament. Die Chancen, auf dem Klageweg überhaupt Schadenersatz zu erhalten, sind damit weiter gestiegen“, betont Dieselanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.