Arbeitsrecht und Kündigungsschutz: Eine personenbedingte Kündigung aufgrund des Verlustes der Fahrerlaubnis ist nur unter sorgfältiger Prüfung möglicherweise rechtmäßig!

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, ob der Entzug einer für die Tätigkeit erforderlichen Zusatzbescheinigung eine Kündigung rechtfertigen kann. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Arbeitgeber eine gründliche Prognose erstellen und mögliche Alternativen zur Kündigung sorgfältig abwägen müssen, um den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes zu entsprechen.

Arbeitsrecht und Kündigungsschutz: Eine personenbedingte Kündigung aufgrund des Verlustes der Fahrerlaubnis ist nur unter sorgfältiger Prüfung möglicherweise rechtmäßig!

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 20. Juni 2024 (Az.: 2 AZR 134/23) wesentliche Grundsätze zur sozialen Rechtfertigung personenbedingter Kündigungen festgelegt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob der Entzug einer Zusatzbescheinigung für einen Triebfahrzeugführer eine Kündigung rechtfertigen kann. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Arbeitgeber hohe Anforderungen erfüllen müssen, wenn sie eine Kündigung aufgrund von Eignungs- oder Befähigungsmängeln aussprechen möchten.

Der Kläger war seit 2017 als Triebfahrzeugführer bei einem Eisenbahnverkehrsunternehmen tätig. Nach mehreren Vorfällen entzog ihm der Arbeitgeber die für seine Arbeit notwendige Zusatzbescheinigung und kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2021. Kurz vor der Kündigung hatte der Kläger jedoch erfolgreich eine Nachschulung absolviert, um seine Eignung für die Tätigkeit zu belegen. Die Vorinstanzen trafen unterschiedliche Entscheidungen: Das Arbeitsgericht gab dem Kündigungsschutzantrag des Klägers statt, während das Landesarbeitsgericht (LAG) die Kündigung bestätigte und den Arbeitgeber zur Herausgabe der Zusatzbescheinigung verpflichtete. Das BAG entschied schließlich zugunsten des Klägers, erklärte die Kündigung für sozial ungerechtfertigt und legte neue Maßstäbe für die Prüfung solcher Fälle fest.

„Das BAG betonte, dass eine personenbedingte Kündigung nur dann verhältnismäßig ist, wenn ein Eignungs- oder Befähigungsmangel des Arbeitnehmers nach einer Prognose nicht innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens behoben werden kann. Eine Kündigung ist daher nur gerechtfertigt, wenn eine nachhaltige und dauerhafte Störung des Arbeitsverhältnisses vorliegt“, erklärt der Mönchengladbacher Arbeitsrechtsexperte Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de und https://www.hartung-rechtsanwaelte.de/anwalt-arbeitsrecht/). Die Kanzlei ist auf Anleger- und Verbraucherschutzthemen spezialisiert und hat sich neben der Beratung von Abgasskandal-Betroffenen auf die Durchsetzung von Ansprüchen geschädigter Verbraucher gegenüber Online-Casinos sowie die Vertretung von Mandanten in Kündigungsschutzklagen und anderen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten fokussiert.

Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber nicht ausreichend nachweisen, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, die fehlende Zusatzbescheinigung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens wiederzuerlangen. Der Kläger hatte bereits eine Nachschulung erfolgreich abgeschlossen und war bereit, ein Simulatortraining sowie eine Überwachungsfahrt zu absolvieren. Die dafür erforderliche Zeit war für den Arbeitgeber zumutbar. Zudem stellte das BAG klar, dass die Entziehung der Zusatzbescheinigung durch den Arbeitgeber zwar rechtmäßig war, sie jedoch allein keine hinreichende Grundlage für die Kündigung bildete. Der Arbeitgeber hätte vielmehr die Möglichkeit zur Wiedereignung prüfen und entsprechend dokumentieren müssen. Eine weitere entscheidende Frage war, ob dem Kläger Anspruch auf Annahmeverzugslohn zusteht. Das BAG entschied, dass dies nicht der Fall sei. Durch die Entziehung der Zusatzbescheinigung war es dem Kläger unmöglich, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Da die Entziehung jedoch aufgrund eines Pflichtverstoßes des Klägers rechtmäßig war, konnte er keinen Anspruch auf Lohnzahlung geltend machen.

Daher kommentiert der Arbeitsrechtsexperte Dr. Gerrit W. Hartung: „Das Urteil des BAG zeigt deutlich, dass personenbedingte Kündigungen aufgrund von Eignungs- oder Befähigungsmängeln nur dann rechtswirksam sind, wenn eine gründliche und realistische Prognose erstellt wird. Arbeitgeber müssen die gesamten Umstände sorgfältig prüfen und mögliche Alternativen zur Kündigung in Erwägung ziehen. Die bloße Entziehung einer Fahrerlaubnis oder Zusatzbescheinigung reicht nicht aus, um eine dauerhafte Störung des Arbeitsverhältnisses anzunehmen.“

Mit seiner Entscheidung erschwert das BAG die Kündigung von Arbeitnehmern aufgrund vermeintlich geringfügiger Pflichtverstöße erheblich. Das Urteil stärkt die Rechte der Arbeitnehmer und unterstreicht die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit sowie einer präzisen Prognose bei personenbedingten Kündigungen. Arbeitgeber sind künftig stärker gefordert, ihre Entscheidungen fundiert zu begründen und ernsthaft Alternativen zur Kündigung zu prüfen.